Gedichte

BLUTRACHE

Die Einsamkeit hat den Wind des Hochlandes aufgesogen
und es rührt sich kein Grashalm kein Blatt.
Schrecklich sind die schwarzen Raben
still über den alten Eichen
auf der Spitze des Berges in der Mittagsglut.
Das Hirn des Menschen tief im Schatten ersinnt
Wege des Blutes
und das Ende des Friedens landauf landab.

FRÜHLINGSANBRUCH

Im Mark der Knochen spüre ich
den Hauch des Todes.
Ringsum brennt die Luft
und der Blick verliert sich auf dem Weg
ohne Ende.
Mich schmerzen nur die Augen:
Sie werden die Zähne der Ewigkeit sehen
wie sie vorn zuklappen.

EINEM DICHTER VON HEUTE

Dein Weg ist gut:
Die Parzen – gräßlichstes Angesicht
antiker Mythen. Du jedenfalls
schriebst nicht über sie
sondern über Felswände und Menschenstirnen
faltengefurcht und über die Liebe.

Deine Verse sind im Schweigen zu lesen
und nicht vor dem Mikrophon
wie die einer Schar anderer Dichter;

das Herz
auch unter sieben Häuten
Eis,

Eis
auch unter sieben Häuten.

EIN ALTES MOTIV KEHRT WIEDER

Sieben Mädchen sprangen auf
als die Farbe des Raben dahinflog
über die Stütze des Lebens:
gelb erschien sein Schnabel, fast weiß
zwischen schwarzen Federn.

Sieben Mädchen sprangen auf
und rannten, beide Röcke
in den backblechgroßen Händen,
den Raben nach und scheuchten sie
allein mit der Stimme
wie dunkle Kopftücher
in die felsigen Abgründe.

Kommt ihr aber nicht, Mädchen
wenn die Wasserlachen im Fluß
weiß werden bevor der Tag graut,
versteinern auch die Hände der Säuglinge
auf der Tischplatte.

DER HIRSCH – GEBROCHEN

Die Hirten lassen die Alm treulos
mutterseelenallein
ziehen
zur Wärme der Winterweiden.
Sie steigen hinab schwatzen laut
über die Frauen und ihr Lachen
ergießt sich wie ein Sturzbach
tiefer und tiefer.

Der alte Hirsch hob den Kopf von der verbrannten Erde
sah auf das vergilbte Laub. Dann
ging er und stritt mit den Söhnen
um die Hirschkühe.

Gebrochen verläßt auch er das Hochland und folgt
dem Lachen des Sturzbachs
ein Feuerpfeil
hinunter ins Flachland zum Wintergras
das er wieder berühren wird!

Als sie ihn töteten, öffneten die Hirten
seine Lider und sahen
in seinen Pupillen
viele Hirsche Wasserstrahlen trinken.

DIE FRAU MIT ZAUBERKRAFT

Als die jung war und mit ihrem Mann
saugten ihr die Kinder das Mark aus den Knochen:
Jetzt fallen ihr die Zähne einer nach dem anderen
aus dem Mund.
Unachtsam im Vorübergehen
zerquetschten ihr
die Söhne
die Spur und niesten
um ihr Klagen nicht zu hören.

Die Frau gebraucht den Zauber nicht
ein Schloß im Meer zu bauen mit Gräten
und Algen
und leuchtend auf goldner Felsbank zu thronen
ohne die Söhne.

SCHLANGE UND FRAU

Sie vergaß heute nacht ihren Körper
unbedeckt
und fand ihn am Morgen als Bild
aufgehängt
an einer ellenbreiten Wand:
sie schaute und schaute und verschwand.

Ihre Kleider trocknen am Meer
neben dem Natternhemd auf den Steinen.
Die Schlange sagte sie werde wiederkommen, ja ja
noch nachmittags.

Am Nachmittag
spät
kam die getäuschte Schlange
unter den Steinen hervor
grinste der Einsamkeit entgegen
zog die alte Haut an
und ging schlafen.

TROSTLOSIGKEIT

Wem fiel die Finsternis auf
die ins Tal stürzt nach dem Erlöschen der Sterne
vor dem Morgengrauen?
Der Zerstörer seiner Selbst, ein Weißgewordener
fand daß die düstere Zeit
zwischen zwei Lichtern
bis aufs Mark in Stein
und Menschenknochen dringt.

Das Dunkel zwischen zwei Lichtern
erträgt weder der Stern der abreißt
noch der Mensch.

GEFUNDENER FADEN

Vergangene Nacht verlöschten die Lichter und finster
lag die Stadt bis der Tag graute.

Die Frauen suchten Öl und Dochte
und fanden sie nicht im Finstern.

Am Morgen versank die Sonne und blaß
wurden die Flächen der Wolkenkratzer.

Am Morgen besah ich den Kreis der Träume
am Boden
und fand den verlorenen Faden
dort wo das Licht abriß.

AUCH DAZUMAL EHE DIE STÄMME KAMEN

Auch dazumal ehe die Stämme kamen
warst du
hattest
Milch in den Rissen der Felsen
und die Grundfeste im Salzwasser.
Sie gaben dir nur einen Namen: Shkodra.
Und sie nannten dich Stadt mit Kronen
und schleuderten auf dich Steine
und Eisen der Vorzeit.

Du erwachtest in Blut wieviele Male
besahst dich in einem Spiegel.
Hattest den Namen einer Frau
und wuschest dich in den Wassern
der Flüsse und throntest mit neuen Kleidern
auf Felsen
leuchtend im Glanz der Sonne über Feldern.

ALTER EGO

Ein blinder Neger
im Ledermantel einen Hund
auf dem Pflaster einer großen Stadt
der Neuen Welt
unbeweglich stehend.

Die Leute umwirbeln sie ringsherum
Wasser um einen zweigezackten Felsen
im Herzen des Flusses.

Scheckiges Wundwasser
im Riesenkörper.

KREUZUNG DER VÖGEL

Nachtanbruch letzter Liebe
spielerisch gekeimt:
er geht buntbesohlt
wie einer der im Norden über Winter
hinter vielen Fenstern haust.
Auf schwarzen Flügeln schreitet sie
jung und schön
vor dem Aufbruch nach Süden

von außen schallen die Stimmen der Welt
und der Weg ist zweigeteilt:
halb Eis
halb Sonne.

DIE SCHWALBE

Schwarze Flügel
inmitten von Schneeflocken
in den Alpen
auf verspätetem Zug
gen Süden.
Mit Flügeln wie Laub
des Spätherbstes kämpft sie
gegen wirbelnde Winde an
dem höchsten Paß entgegen.

Jeder hat zwei Wege vor sich
und einen nur die Schwalbe:
weiß werden.

EINE VERLORENE JAHRESZEIT

Niemand sah in diesem Jahr
die Stirn des frühtaukurzen Sommers
die Tränen in seinem Blick
auf den Berg.

Nicht ein Tag fehlt dem Jahr
und voll Schmerz sieht es
den letzten Tropfen Wachs verbrennen:
Das Heute spürt die Blätter
des Gerberstrauchs beben
vor dem Hauch der Zähne
der Gemse.

BERGRUTSCH

Frühmorgens wankte er
im Sturm nicht einen Zoll.
Mittags war der Wald, die Bergwange
umgerissen und versank im Fluß.

Die Sonne sank und beschien aufgewühlte Erde
abgerissene Wurzeln, gespaltene Bäume
und das Ende in meinem Bewußtsein.

Die Bewohner des Berges gegenüber fragten:
brüchiger Ort, wo bergen wir die Augen
in deiner Stirn ohne Bäume?

HARTER MONAT ODER EINSAMKEIT

Erde, Fichte und Bergweide beladen mit Schnee
und Kerzen aus Eis.
Das wilde Tier im eigenen Brustkorb gefangen
kauert sich zusammen und schläft
ohne Spur hinter sich
die Klauen in die Haut gekrallt
unter das Fleisch.

Ein Zaun eingestürzt auf dem Weg
und die Nacken der Bergpässe
ringsum
versperrt von Wolfszähnen
wie irr.

ZAUBERSPRUCH

Hasel Hasel Hasel
tausend Farben auf dieser Erde
rote Wangen der weißen Frau
mit der schwarzen Warze
sie liebt mich nicht sie liebt mich nicht
soll der Kopf sie schmerzen
soll sie kommen soll sie sagen:
mach mich frei mach mich frei!

Hasel Hasel Hasel
meine Träume meine Träume
mein Glück mein Glück für dich
laß mich sprechen:

Roter Faden an dem Zweig
das Böse fliehe deinen Körper
Funke Funke am Stein
Elsteraugen-Herz zerbreche
Funke Funke am Stahl.

Nacht und Blitz zerberste
über dem trockenen Berg
über dem schlimmen Traum!
Hasel Hasel Hasel
Böses sei gefangen
in den Schlingen!

ENDE DER EINSAMKEIT IN DER HITZE DES MITTAGS

Stechende Hitze am Fuß der Stadt
im Fels den ein Palast auf der Sitze krönt.
Die Einsamkeit auf den Steintreppen schleppt Schritt um Schritt
den dampfenden Körper hinauf
und endet nie.

Die Hunde hinter der Tür kratzen am Holz
und heulen damit sie jemand befreit
vom Quietschen rostiger Drähte im Bett.
In schamlosen Gedanken befleckt sich das Leinen
das zum Trocknen auf Balkonen hängt
kreuz und quer.

Ganz oben, beim alten Palast
blitzte strahlend das weiße Tuch
auf ihrem Kopf
und der Schritt der Frau knallte auf dem Felsen
mit einem Echo in meiner Brust.

DEM GLÜCK AUSGESETZT

Ich habe die grüne Schalmei zurückgelassen
die Eschenrinde
als Armlehne eines Eichenstuhls.

Im Herbst schenke ich Früchte, sommergereift,
und behalte für mich
am Lippenwinkel eine Runzel
die Spur des Lachens über mich und andere.

BRÜCHIGER ORT

Den Stämmen unten am Drin

Zwischen dem Berg Molč und Qerreti
klafft eine Schlucht bis hinunter zum Fluß:
wie wär’s, wäre er ein See
in Kähnen aus Ahornholz trieben wir dann
auf ihm, weit und breit allein.

Auswendig wüßten wir
Namen köstlicher Fische und nicht
die von Raubvögeln und rauhen Pflanzen.

Auch würde das Auge blau
leuchten und nicht schwarz.

Im Wasser würden wir schwimmen
und nicht in Wolken.

FORM

Gewand gewebt von einer Hand
von Kopf bis Fuß
Form
eine Freude für Auge und Ohr

Form Einfachheit
entstanden in steiniger Mühe
erfahren auf Pfaden die
kein Fuß kein Huf betrat.

Federleicht scheinend
gewichtig wie Eisen
Klang oder Farbe
lichtklar.

Aus dem Albanischen übersetzt von Hans-Joachim Lanksch
© Copyright Übersetzung Hans-Joachim Lanksch

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Tiefenweg 3
83661 Lenggries